From: Winter <mailto:mdce0023@fs.uni-hildesheim.de
To: Undisclosed.Recipients@rz.uni-hildesheim.de
<mailto:Undisclosed.Recipients@rz.uni-hildesheim.de
Sent: Tuesday, April 24, 2001 1:15 PM
Subject: nazis in deutschland
hallo liebe leute,
ich schreibe euch heute allen zusammen eine mail, weil ich euch allen
etwas berichten möchte, was ich erlebt habe.
die tour
steht unter
dem nahmen 'die leude woll'n, dass was passiert' (slogan von fünf
sterne
deluxe) und ist im rahmen der stern aktion 'mut gegen rechte gewalt'.
ins
leben gerufen haben diese tour der stern und das büro lärm,
für die ich
diese tour als tourleitung begleite. wir sind in städten wie neustadt
an
der orla, wurzen, eberswalde, dessau und bad salzungen, weil dieses einige
der brennpunkte sind, in denen die nazis die überhand gewonnen haben.
weil ich das gefühl habe, dass viel mehr menschen
darüber
informiert werden müssen, was in dieser stadt abgeht.
wurzen ist die erste stadt, die sich genannt hat.
demzufolge gibt es dort auch keine ausländer. es gibt keine dönerbude,
es
gibt kein ital. restaurant. das einzige chinarestaurant, dass es dort
gab,
wurde solange terrorisiert, bis die inhaber flohen. die anfangsbuchstaben
vom happy house (name des restaurants) wurden stehen gelassen und stehe
heute für heil hitler. die nazis haben dort einen ihrer treffpunkte
eingerichtet, in dem sie sogenannte heimatabende verbringen.
als wir in wurzen ankamen, war sofort klar, dass wir dort alles andere
als
willkommen sind. wir wußten zwar, dass wurzen mit der härteste
termin auf
unserem plan war, doch was uns dort erwarten sollte, übertraf jede
vorstellung.
zunächst muß gesagt werden, dass die veranstaltung open air
war, da die
stadt keinen raum zur verfügung stellen wollte. vor ort organisierte
das
konzert eine gruppe von antifa leuten, die (man kann es gar nicht glauben)
in wurzen und umgebung wohnen. diese menschen sind alle um die 20 jahre
und wollen nicht aus wurzen wegziehen, da sie sagen, dass sie den kampf
dann endgültig verloren haben.
unsere sprüher, die fester bestandteil der tour sind, fingen um 14h
an,
eine mauer, die gegenüber des geländes an einer straße
lag zu bemalen. von
anfang an wurden sie von vorbeifahrenden nazis bedroht. (heute nacht krieg
ich dich. ich töte euch. etc) von der vorher abgesprochenen polizeistreife
zu unserem schutz war nichts zu sehen. um ca 15h hielten zwei polizeiautos
vor der mauer. die polizisten stiegen aus und verlangten von den sprühern
die sprüherlaubnis. reine schikane, wenn ihr mich fragt, denn
logischerweise war die ganze veranstaltung (also auch das sprühen)
genehmigt und angekündigt. von anfang an trat die polizei sehr
unfreundlich und äußerst unkooperativ auf. einer der sprüher,
der
chinesischer abstammung ist, filmte die ganze aktion mit seinem camcorder.
plötzlich nahmen die polizisten ihn und wiesen ihn an, ihnen ins
polizeiauto zu folgen. es gab überhaupt keine erklärung bzw
rechtliche
grundlage zu dieser aktion. ich versuchte herauszufinden, was dem sprüher
vorgeworfen wird, aber schon bald war klar, warum gerade er ausgesucht
wurde. ich bekam keine antworten auf meine fragen. daniel (sprüher)
mußte
seinen film löschen und seine personalien angeben. dafür gibt
es ebenfalls
keine rechtliche grundlage. reine schikane! als mir einer der polizisten
dann sagte, dass der sprüher dort festgehalten wird, weil er ja erst
einmal seinen namen buchstabieren müsse ("oder können sie
etwa
vietnamesisch?"), war die situation kurz vor dem eskalieren. deshalb
und
natürlich auch, weil wir die presse hinter uns haben (stern und focus
waren anwesend), wurde daniel schließlich wieder frei gelassen.
von da an
war klar, dass die polizei, die uns eigentlich beschützen sollte,
nicht
wirklich auf unserer seite steht. ein einsatzwagen stellte sich dann eine
zeitlang neben die mauer, und tat so, als würde er aufpassen. einer
der
polizisten in diesem auto war der vater des npd vorsitzenden dieser stadt.
ein weiteres beispiel für die parteiorientierung der polizei: ein
einzelner nazi geht an ca 30 sprühern vorbei und sagt ganz selbstbewußt,
dass er heute nacht alle tötet. dann geht er um die ecke und begrüßt
die
schon erwähnten polizisten.
das konzert verlief reibungslos. wir bekamen so viel dankbarkeit entgegen
und merken wie in neustadt, dass es so wichtig ist, etwas für die
menschen
zu tun, die gegen diese nazis kämpfen. ich habe tiefsten respekt,
vor
diesen leuten, die dort täglich verprügelt oder aus bussen geschmissen
werden und den kampf trotzdem nicht aufgeben!!!
als das konzert zuende war und der großteil des publikums zuhause
und die
bands im hotel waren, tauchten plötzlich ca 50 glatzen auf dem großen
parkplatz vor dem konzertgelände auf. von der polizei war zunächst
nichts
zu sehen. unser sicherheitschef konnte die nazis mit seinen leuten
einkesseln und eine straße hoch 'treiben'. dann tauchte auch die
polizei
auf, die sich (mal wieder) äußerst unkooperativ verhielt. doch
nach einem
gespräch des einsatzleiters mit anetta kahane von der amadeu antonio
stiftung, die während der ganzen tour dabei ist, gaben die polizisten
ein
versprechen, dass sie auf dem parkplatz blieben, bis alle beteiligten
den
ort verlassen hätten. immer wieder taucheten nazis aus der dunkelheit
auf.
im fünfer konvoi fuhren wir (a. a. stiftung, sprüher, focus
fotograph und
ich) dann mehr oder weniger fluchtartig mit unsrem sicherheitschef in
unser hotel, dessen besitzer übrigens einen der npd jugendclubs durch
geldspenden unterstützt. auf dem weg bekamen wir dann noch zum abschied
den hitlergruß.
ich finde es sehr wichtig, dass ich möglichst vielen menschen mitteile,
was in dieser stadt abgeht. wir erfahren viel aus den medien, nehmen das
auf, und denken, dass das schon schlimm ist, aber dass da ja eh nichts
passieren kann. das sind doch nur so ein paar vollidioten, die so denken.
man kann sich das aber nicht vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat
oder
jetzt hört. es ist wirklich so schlimm. egal wohin du guckst, es
leben
dort nur nazis (bis auf die handvoll antifa leute). der stadtrat, polizei
- egal was - nazis! und die, die keine glatze oder hitlerfrisur tragen,
verschließen die augen. genau wie vor 50 jahren. das ist dort ganz
schlimm
und ich wünschte mir, dass viel mehr menschen davon etwas mitkriegen,
damit das problem ernst genommen wird.
auch wenn ich in meinem ganzen leben noch nie solche angst vor menschen
gehabt habe, bin ich sehr froh, dass ich diese tour mitmache. wie gesagt,
die menschen, die dort gegen die nazis kämpfen, müssen viel
mehr
unterstützt werden. ich würde immer wieder bei dieser aktion
mitmachen.
bei dem konzert waren übrigens ca 400 leute, die richtig gefeiert
haben.
denen war es im prinzip auch total egal, wer auf der bühne steht.
hauptsache, es wird was für sie getan.
ich hoffe, ich konnte euch so einigermaßen eine vorstellung geben,
was in
wurzen (und nicht nur dort) abgeht. wenn ihr mehr über die tour erfahren
wollt, guckt im internet unter www.eyedoo.de <http://www.eyedoo.de
www.buerolaerm.de <http://www.buerolaerm.de www.fourartists.com
<http://www.fourartists.com www.amadeu-antonio-stiftung.de
<http://www.amadeu-antonio-stiftung.de oder kauft euch den neuen stern.
da steht ein bericht über wurzen drin, den ich vor der tour reißerisch
fand,
aber nach der tour mit ganz anderen augen sehen.
bis dann,
macht es gut und denkt mal drüber nach,
meike
|