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Konsensuelle Halluzinationen

Annina Zimmermann
6.06.05

Gemessen an ihrer Medienresonanz sollten Lizvlx (Maria Haas) und Hans Bernhard zu den berühmtesten KünstlerInnen der Welt zählen. Bis zu 450 Millionen Menschen sollen von ihrer „[V]ote-Auction“ erfahren haben. Ungezählte Interviews und Features, u.a. eine weltweit ausgestrahlte halbstündige Diskussionsrunde auf CNN debattierten die illegale Aktion ihres Künstlerlabels ubermorgen. Pünktlich zur Wahl 2000, die George W. Bush zum US-Präsidenten machte, bot ubermorgen den US-amerikanischen WählerInnen eine Online-Plattform, auf der sie ihre Stimme meistbietend versteigern konnten. Das Angebot des Stimmenkaufs unterläuft die Demokratie – jedoch bestimmt nicht massiver, als die millionenschweren, von der Politik geförderten Wahlkampfspenden grosser Wirtschaftsunternehmen. „Die Forschungsbedingungen waren fantastisch,“ so Bernhard in einem Interview, „wir konnten Informationen in die globale Netzwerk-Matrix fallen lassen und sie reisen sehen, morphen und zurückkehren. Wie ein Spin-Doctor konnten wir ihnen dann einen neuen Dreh geben – sie mit andern Informationen mischen, mit klassischem Wissen kombinieren. Das war möglich, weil wir kein Ziel hatten ausser dem Experiment, keiner politischen Botschaft, keinem Ideologischen Fundament dienen mussten – eine ideale Welt, unser ‚Labor’“.

Die Justiz blieb nicht lange untätig. In Missouri, Illinois, Massachusetts und Wisconsin wurden gerichtliche Verfahren eingeleitet, ubermorgen ist bis heute die Einreise in die Vereinigten Staaten verwehrt. Bernhard erzählt von Kommunikations- und Anwaltskosten um die 70'000 Euro. Dem hartnäckigsten der Gerichte – Chicago – verdanken sie aber nicht nur nachhaltigen Ruhm in der Medienkunstgemeinde, sondern auch einen kreativen Steilpass für die nächste Arbeit. Das Gericht schickte seine einstweilige Verfügung per Email(!) an den in Genf domizilierten Provider, der die Domain prompt sperrte, obwohl die Schweiz nicht wirklich der nordamerikanischen Gerichtsbarkeit unterliegt. Diese Art von Gehorsam, der die Legitimität der Autorschaft unbefragt voraussetzt, wenn nur die richtigen Standards bedient werden, inspirierte ubermorgen zur nun folgenden Serie der „Legal Works“.

In subversiver Überbietung des Systems boten Sie auf ihrem Server von nun an die automatische Herstellung einer „gerichtlichen Verfügung“ im PDF- oder RTF-Format. Dieses Dokument behauptet auf Wunsch die Illegalität einer beliebigen Webseite und fordert ultimativ deren Sperrung an die Adresse des Registrars der Domain, des Eigners der Webseite und ausgewählte Medienleute. Der sog. „Injunction Generator“ wurde 2003 von der Ars Electronica mit einer „honorary mention“ im Bereich Netz-Kunst ausgezeichnet.

Zwischen Fakt und Fiktion
Die Recherche der manipulativen Macht solcher elektronischer Dokumente hält an. Mit „[F]original“ haben ubermorgen dafür eigens einen Begriff geschaffen, eine Kombination aus „to forge“ (fälschen) und „original“. „Gültig ohne Unterschrift“ sind solche Schriftstücke keine Originale, und werden doch als authentische Repräsentanten einer Tatsache gehandelt. Sie bestimmen zunehmend und immer anonymer unsere Kommunikation mit Geschäftspartnern, Banken, Ämtern. Die Wahrhaftigkeit dieser maschinell bzw. durch Software erstellten Dokumente sei ja nur eine „konsensuelle Halluzination“, so Kuratorin Inke Arns unter Bezug auf William Gibsons Definition des Cyberspace.

Das denkfaule Vertrauen, das wir solchen „Pixel auf dem Bildschirm, Tinte auf Papier“ schenken, mündet allzuschnell in falschen Autoritätsglauben. In ihrem neusten Projekt locken ubermorgen deshalb wiederum mit einem Köder am Rande der Legalität. Die erste Station des vom Basler [plug.in] gemeinsam mit Dortmund (hartware medien kunst verein) und Kopenhagen (overgaden/artnode) organisierten Wanderausstellung thematisiert nämlich „Banking“ und gastiert u.a. auch an der Kunstmesse Liste.

Hier werden täglich leere Bilderrahmen mit neu generierten bzw. re-arrangierten „[f]originalen“ Bankauszügen gefüllt. Sozusagen als Erinnerungsstütze oder auch nur temporäre Erfüllung monetärer Fantasien können sie auf den eigenen Namen ausgestellt und käuflich erworben werden. Denn weshalb sollten die Bildpunkte (Pixel und Tinte) eines Bankauszug, eines Minusstrichs vor dem Saldo etwa, in leicht verschobener Position nicht genauso treffend Realität abbilden? Wo der Kontostand doch eh nur eine von vielen möglichen Realitäten darstellt? Würden alle Kunden ihre Vermögen zugleich von den Konten abheben, so crashte selbst die seriöseste Schweizer Bank. Das sollte sich, meinen ubermorgen, in Erinnerung rufen, wer sich von solchen Zahlen das Leben diktieren lässt. Auch wenn ich dann wiederum umgekehrt hoffe, die Postüberweisung meines Arbeitgebers sei zwar Fiktion, lasse sich aber bald schon gegen mehr als eine Pizza eintauschen.





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Links:
vote-auction.net
ubermorgen.com
[plug.in]




ubermorgen: [F]original
Authentizität als konsensuelle Halluzination

[plug.in]

Kunst und Neue Medien
St. Alban-Vorstadt 64, Basel (CH)

Öffnungszeiten
Mittwoch bis Sonntag, 14 bis 18 Uhr
während der Art/Liste: Donnerstag bis Sonntag, 10 bis 19 Uhr
Bis 3. Juli 2005.

Donnerstag, 9. Juni, 20 Uhr
Vernissage

Freitag, 17. Juni, 12 bis 13 Uhr
“Ein radikales Netz-Kunst-Projekt und sein Streben nach dem Kunstmarkt"

Diskussion mit Hans Bernhard und Lizvlx (ubermorgen) und zwei der KuratorInnen ihrer Ausstellungsreihe: Jacob Lillemose (artnode), Inke Arns (hartware)

Reservation
T. +41/61-283 60 50, office@iplugin.org